Donnerstag, 12. Mai 2011

SCHLEIM-KEIM Interview mit Hagen und Lippe

Als Otze im April 2005 plötzlich mit nur 41 Jahren in der psychiatrischen Klinik in Mühlhausen starb, schien das Schicksal von SCHLEIM-KEIM - der grössten und kultigsten ostdeutschen Punk-Band - für immer besiegelt. Aber danach traten plötzlich Leute auf den Plan, die massenhaft SK-Artikel auf den Markt werfen, Behauptungen werden in den Raum geworfen, bewusst Gerüchte gestreut und mit moderner Technik massenhaft verbreitet, ohne überhaupt die Zusammenhänge zu kennen. Was liegt da näher, als einmal die letzten verbliebenen Originalmitglieder von SK zu fragen, die eigentlich wissen müssen, was damals mit der Band abging. Hagen und Lippe, beide aus Gotha, haben die wichtigen Alben nach der Wende "Abfallprodukte der Gesellschaft" und die Live-Scheibe "Mach dich doch selbst kaputt" mit Otze eingespielt, Lippe schwingt auch auf der kompletten "Nichts gewonnen, nichts verloren Vol. 2 LP/CD die Knüppel sowie auf der 1. EP "Schwarz-Rot-Gold - nie gewollt".
Los geht's:




SK treten ja wieder auf, wie kam es dazu?
Hagen: Viele Nachfragen! Der Anlass war das Buch vom Frank Willmann, er hat uns ja auch für die Recherche an seinem Buch kontaktiert, ein Interview mit uns gemacht. Der Ansatz war, daß wir bei der Buchpräsentation in Gotha zwei, drei Lieder spielen. Da ist halt ein bisschen mehr draus geworden.
Aber wir wollen nicht zu oft spielen, nur auf Anfrage. Es geht nicht darum, neue Lieder zu schreiben, das wäre Unsinn. Die Sache ist nicht ausbaufähig.

Es stehen Sachen im Raum, wo es um den letzten Auftritt beim Open-Air bei Wandersleben geht, im Sommer '95 in der Nähe von Gotha. Ihr hättet Otze im Stich gelassen. Wie kam es zum Auftritt und was ist da alles vorgefallen?
Lippe: Da haben etliche Bands hier aus Gotha und Umgebung gespielt, organisiert hat das ganze noch Steffen "Glocke" Glöckner. Wir wurden halt auch gefragt und haben zugesagt. Wir haben uns nachmittags schon getroffen, SK sollte wie so oft als letztes spielen, was wir natürlich nicht wollten. Sonnenschein ohne Ende, den ganzen Tag Freibier, abends auf der Bühne waren wir ziemlich angeschlagen, aber Otze hatte natürlich wieder voll übertrieben. Der kam auf die Bühne, konnte keine Gitarre mehr stimmen, keinen Überblick mehr gehabt, zum Bier noch gewisse andere Sachen dazu genommen. Ein oder zwei Lieder sind zustande gekommen, aber auch gerade so. Dann gings los, hat er eben gedacht, wenn ich nichts mehr richtig hinkriege, spiele ich halt jetzt meinen eigenen Kram: "Ich bin stolz, stolz, stolz auf mein Nudelholz" und "Eine Frau wie sie", das hatten wir nie richtig als Lieder geplant damals...
Hagen: Alleine, quasi als Liedermacher.
Lippe: Hinter mir standen die ganzen Leute aus Erfurt, die haben gesagt, macht Euch von der Bühne runter, denn ihr macht Euch ja voll zur Feile, wenn ihr oben mit stehen bleibt. Wir haben versucht, Otze anzusprechen, er soll ein normales Lied ansagen, aber er hat uns vollgenölt, warum wir nicht mitmachen. Aber wie soll das gehen, wenn wir das Lied noch nie gespielt haben? Die nächsten Konzerte waren dann immer irgendwelche Ausnahmezustände...das waren eigentlich keine Konzerte mehr, nur, kriegt er es noch hin oder kriegt er es nicht mehr hin, so ist es bei allen Konzerten abgelaufen, die zum Schluss waren.
Hagen: Das waren nicht mehr viele, Bad Langensalza war dann nochmal genau das selbe.

Also war Wandersleben gar nicht das letzte Konzert?
Hagen: Nein, es gab noch dreie, viere danach!
Lippe: Das waren keine richtigen Konzerte mehr, sondern nur so Rumgeeier!
Hagen: Diese Nudelholznummer, die hat er vorher schon eine Woche lang im AJZ geübt, weil er so stolz war, dass er das komponiert hat. "Ich bin stolz aufs Nudelholz".

Das war jenseits schon von Gut & Böse!
Hagen: Ja klar!!!

Mir haben damals drei, vier Fans, die bei dem Konzert in Wandersleben waren, einen Brief geschrieben, daß Otze gar nichts mehr hingekriegt hat.
Lippe: So weit ich mich erinnern kann, waren da auch Erfurter, die dann richtig stinkig waren. "Extra hergekommen, so 'ne Scheisse, da hätte ich auch zu Hause bleiben können oder in Erfurt in irgendeine Kneipe!" Es waren zwar nicht viele aus Erfurt da, so sieben, acht Mann, aber die waren alle komplett enttäuscht gewesen!




Wie viele Leute waren da eigentlich in Wandersleben?
Hagen: So 300! Es war nicht übervoll, aber es war okay.

Wie ging es dann mit SCHLEIM-KEIM weiter, habt Ihr mit Otze über die ganze Sache gesprochen, so geht das nicht?
Hagen: Ging nicht, das war sinnlos!
Lippe: Dann ist die Zeit gekommen, wo er überall mal gewohnt hat, bei jedem drei Nächte gepennt hat, der irgendwelche Drogen in der Hosentasche hatte. Da hat er sich aufgehalten mehrere Tage und wenn du ihn dann getroffen hast, da ging gar nichts. Wenn Du mal runter ins besetzte Haus in der Margarethenstrasse gegangen bist, da ist er Dir entgegengekommen, Schuhe hat er weggeschmissen im Wahn, einen Lappen um die Füße gebunden, damit er nicht in Glasscherben rumtreten muß. Er kam an mit Speer wie ein Indianer und hat sich gefreut wie ein kleines Kind!
Wenn Du ihn angesprochen hast, hat er das gar nicht mehr richtig realisiert, was eigentlich abgeht! Früh um sieben gleich die erste Pulle Sangria an Hals und alles hinein in den Körper, was da rumgekullert ist.

Also, es ging gar nichts mehr!
Lippe + Hagen: Gar nichts!

Ihr hattet also nach Wandersleben noch Konzertanfragen, seid da auch hingefahren, z.B. nach Bad Langensalza...
Lippe: Meine Adresse in der Uelleberstrasse war ja damals die Kontaktadresse von SK, da sind die ganzen Briefe hingekommen mit Auftrittsangeboten. Mindestens einmal in der Woche hat da ein Brief dringesteckt von was weiss ich woher und wenn Du Otze wirklich mal getroffen hast, "bei mir liegen bestimmt noch 20, 30 Briefe rum, wollen wir nicht mal wieder irgendwo einen Gig machen?" "Ach ja, hast Du was zu kiffen dabei?" oder "Haste mal Bier?" Ich hab gesagt: "Wir müssten auch mal wieder proben!" Das hat ihn gar nicht interessiert, Probe, Auftritt, das war alles hinfällig. Die Krönung war dann, wo er mit seiner Schwägerin rumgezogen ist, da sassen wir vorm Rathaus aufm Markt rum - da hatte ich ihn bestimmt ein halbes, dreiviertel Jahr gar nicht gesehen - da kam er an, war ordentlich angezogen, hat 'nen cleanen Eindruck gemacht, ich dachte schon, daß er endlich mal fragt, wann wir wieder was machen und ich meinte: "Eh, Dieter, was ist los, wollen wir mal proben oder 'nen Auftritt machen?" "Ich bin eigentlich nur da, ich wollt' dich fragen, kannst Du mir ein bisschen Speed, Koks oder Heroin besorgen?" Ich sag: "Erstmal nehm ich den Mist nicht, höchstens ein Gramm Shit und selbst das kann ich noch nicht mal besorgen." Und dann meint er: "Dann war das eigentlich alles was ich fragen wollte, sag den anderen einen schönen Gruß, wir hauen wieder ab." Dann ist er mit seiner Schwägerin gegangen, das war sein Auftritt gewesen in Gotha!

Und seine Sachen standen hier noch im Übungsraum!
Lippe: Da stand alles rum.

Es gab ja nie eine offizielle Auflösung von SK!
Lippe: Nee, gab es nicht.

Du bist ja auch mal nach Stotternheim gefahren, um Otze aufzusuchen. Wie sollte man ihn sonst erreichen? Man musste ja hinfahren auf gut Glück, kein Telefon...
Lippe: Es ging ja soweit zum Schluss, dass wir Auftritte hatten, es war gesagt, wir treffen uns dann und da, wir das Auto vollgepackt mit unserem Mist und wer war nicht da, Herr Ehrlich! Wo isser? Biste in die Stadt gefahren, mal dahin, dort, da war er nicht...wenn Du zum Auftritt fahren wolltest, musstest Du ihn erst suchen, bevor Du überhaupt losfahren konntest. Das waren keine Zustände mehr zum Schluss!

Welches war denn der letzte "Auftritt", wo ihr zu dritt hingefahren seid?
Hagen: Ich würde sagen: Langensalza! Allein schon die Hinfahrt war 'ne Katastrophe und was dann vor Ort stattgefunden hat, war noch weniger als 'ne Katastrophe!

Die Fahrt sind ja nur 20 Kilometer, wie lief das ab, beschreib das mal.
Hagen: Es war schon dunkel, es war so wie jetzt die Jahreszeit, so Oktober. Otze wusste genau Bescheid, meinte: "Wir finden das nie, wir finden das nie...", nur weil einer mal nach dem Weg gefragt hat. Nur wer nicht fragt, wird den Weg nicht erfahren. Wir waren dann auf jeden Fall dort, war so ein Jugendklub, nicht besonders gross, vielleicht 100 Leute drin, aber es war gemütlich, kleine Bühne und so. Es war auf jeden Fall nichts, was da von SCHLEIM-KEIM kam.




Was ist nach der Ankunft genau passiert?
Hagen (lacht): Das ist fast 10 Jahre her.

Über 10 Jahre, genaugenommen 13 Jahre!
Hagen: Otze rein, gleich die Pulle angesetzt, war ja klar...und irgendwie auf die Bühne, das übliche, das Gitarrenmanöver, das hat sich sowas von eingebürgert, ich kann doch wenigstens 'ne gestimmte Gitarre dabeihaben oder ich kann sie ja wenigstens stimmen, bevor ich auf die Bühne gehe.

Das war in Chemnitz, Weihnachten '94, schon das Problem, als die Live-CD aufgenommen wurde. Wenn Lippe nicht so geil durchgetrommelt hätte, hätte man das gar nicht rausbringen können. Wie seid Ihr denn mit Otze verblieben?
Hagen: Gar nicht, der war einfach fort!
Lippe: Er ist gekommen, gegangen wie er wollte, die Band hat ihn gar nicht mehr interessiert zum Schluss, aber alles andere! Ein paar CDs, die er irgendwo hatte, hat er verklingelt, um ein paar Mark zu kriegen, schnell wieder das nächste Getränk geholt oder ein Tütchen gebaut...die Platten, die er von Dir hat zugeschickt gekriegt, an denen hat er rumgezerrt, ist bei allen aufgeschlagen, unter der Jacke die Platten, hat rumgehört, hat sie angeboten für 15 DM damals, ach nee, okay, kriegst 'se für 10, ach nee, achte, nee, sieben, na gut sieben, Platte hin und 7 Mark, kannste wenigstens 3 Bier trinken.

Könnt Ihr Euch noch erinnern, wo und wann Ihr Otze das letzte Mal gesehen habt?
Lippe: Ich hab ihn das letzte Mal in Erfurt im AJZ getroffen. Irgendwann nachts stand er plötzlich da, total tütenzu, "Hallo, alles klar, was macht Ihr denn hier?" "Bands angucken", fertig, dann ist er wieder nach drinnen verschwunden....

Und er hat nie mal nach seinen Sachen gefragt?
Lippe: Das hat ihn gar nicht interessiert.





So das war nen bisschen aus dem Interview wer Bock hat weiter zu lesen auf http://www.hoehnie-records.de gibts das ganze Interview ;)